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Monday, March 5, 2007

Die Reise als Ballon (2003)

Die Liebe ist einfach da, wie der Wind.
Die Kraft, der Schlaf, sie sind da, einfach da.
Schafe sind da, Stiere, Pferde, Wiesen, Regen und Sonne, das Meer, der Mond, Sterne…..alles einfach da.
Die Reise führte weit durch die Welt, über die Welt, in die Welt, durch den Traum und aus dem Traum.
Die Reise, das Atmen, Atmen um den Regenbogen, Leben, Schlaf, Wachsein, Traum, Reise. Alles war gut.

Er wollte eine Reise machen. Im Stuttgarter Hauptbahnhof nahm er einen Zug nach Norddeutschland, einen Nachtzug nach Bremen. Da hatte er ein kleines Abteil mit Waschbecken und Bett. Der Zug ratterte durch die Nacht, manchmal fiel Licht durch das Fenster, hin und wieder hielt der Zug an. Dann wachte er oft kurz auf, und in seiner Decke fühlte er sich sicher und geborgen. Morgens musste er in Bremen umsteigen. In Bremerhaven, an der Nordsee, schien die Sonne. Das Schiff lag im Hafen, am Fischkai. Er betrat das Schiff, ein Fischereiforschungschiff. Das Schiff war über sechzig Meter lang, und da gab es eine Kommandobrücke, von wo der Kapitän alles steuerte, Krane, Winden, Taue, einen Kompass, einen großen Anker und ein riesengroßes Fischnetz.

Zuerst musste er sich an die Seekrankheit gewöhnen, an die Schläfrigkeit und an das Durcheinander beim Gleichgewicht, an die Fahrstuhlbewegungen seines Mageninhaltes.
Nach dem Loch Eriboll im Norden Schottlands kam kein Land mehr in Sicht. Er ließ Schottland und damit die Heimat des Highlanders weit hinter sich. Kennst du den Highlander, den mit dem langen Schwert?

Einige vermutlich besoffene Möwen begleiteten das Schiff mit tollkühnen Flugmanövern. Das Schiff fuhr immer weiter nach Norden, wackelte, stampfte. Der Kapitän hatte einen silbernen Bart, und die Forscher wollten Rotbarsche fangen, immer weiter Richtung Nordpol, zu den Walen, zu den Eisbergen. Die Forscher wollten nachschauen, ob da oben denn noch genug Fisch für die „Nordsee“- Geschäfte übrig sei.

Bei Windstärke 7 schrillte der Alarm, 6x kurz, 2x lang. Das Schiff schaukelte ganz schön, hin und her. Der Alarm war nur eine Übung. Er hastete treppauf zum Sammelpunkt. Die Schwimmweste trug er noch im Arm. Dann legte er seinen Helly-Hansen-Überlebensanzug an. Das ist ein ganz dicker wasserfester und fast wasserdichter Neoprenanzug mit Kapuze, sieht aus wie ein Taucheranzug, geht auch über Hände und Füße, hat vorne einen Reißverschluss. Der Reißverschluss drückte ihm am Hals, löste Würgreiz aus. Darüber kam dann die Schwimmweste, es wurde eng.

Plötzlich als er so unförmig da stand und wankte, um ihn die anderen eingemummelten neunundzwanzig Mann, da kam eine Böe auf, eine so unglaubliche Böe, eine Böeböe, und die fuhr ihm unter den Reißverschluss, den er nicht ganz zugemacht hatte, blies den Anzug auf, so dass er anfing zu steigen wie in einen großen dicken Ballon eingehüllt, und er musste die Reling loslassen, er konnte sich nicht mehr halten.

Ja, er hatte schon gedacht, das ewige Geschaukel sei ihm langweilig, die vielen guten Mahlzeiten zu viele. Fast schon ein bisschen traurig sah er sein Schiff weit unter sich immer kleiner werden , hörte den Kapitän nicht mehr schreien, nur ein fernes Grollen von Stürmen, vor denen her es ihn nun trieb, allein und staunend.

Ein bisschen steuern konnte er schon, dann streckte er den linken Zeigefinger hoch, nur den Finger. Der Finger war das Steuerruder. So konnte er ganz leicht aus dem Wind heraus steuern. Ganz easy, wie eine Computersteuerung, klar, oder eine Fernbedienung.
Den rechten Arm musste er hoch halten, ganz fest wie einen Stock. Genau so. Wenn er schneller werden wollte, machte er eine Faust mit der rechten Hand, einfach eine Faust. Wenn er stark drückte, wurde er richtig schnell, wenn er locker ließ, wurde er wieder langsamer.
Aber die meiste Zeit ließ er sich einfach treiben, behaglich und warm in seinem Überlebensanzug, sicher, geborgen.

Er flog Richtung Island bis er unter sich Geysire sah, die mit heißem Wasserdampf explodierten und Schlamm spuckten, bis ihm Schwefelgestank dort hoch oben in die Nase stieg. Von oben war alles winzig klein geworden, ganz klein, klitzeklein. Er sah Gruppen von ganz kleinen Touristen auf Mini-Islandpferden in den Geröllfeldern, wobei ihm die Sicht immer wieder von Aschewolken genommen wurde.

Dann trieb er weiter Richtung Grönland, beobachtete winzige Inuit-Frauen. Er sah zu beim Jagen und Zerlegen eines Seehundes. Eisberge trieben unter ihm, Wale bliesen. Er hörte sie prusten, und er musste lachen, so gut ging es ihm.
Während er weiter trieb so als wäre das alles ganz normal, und er fühlte sich erstaunlich wohl, hörte er plötzlich von oben eine Stimme, etwas herrisch, etwas scharf: „Was bist du denn?“

Als er sich mit seiner Schwimmweste um den Hals umdrehen wollte, was ihm nicht ganz gelang und bestimmt sehr tollpatschig aussah, nahm er einen Riesen-Seeadler wahr.
Er sagte „Ich bin ein Menschenkind, und ich möchte gerne nach Hause, nach Deutschland, bitte.“
Der Adler schaute ihm in die Augen, und er meinte:“ Ich bin über Alaska und im Sturm gesegelt. Du hast Glück, der Wind dreht sich, und ich werde dir helfen, bevor ich mich wieder auf den Heimweg mache.“

Und er stieß einen schrillen Schrei aus. Das klang ähnlich wie wenn im Kung-Fu-Film die schöne Tochter ihren Vater rächen will und den bösen schwarzen Ninja angreift und dabei so laut und so plötzlich wie es geht losschreit, so aus dem Bauch und in der Kehle ganz oben, im Kopf, so ein „hhrrriiiiiia!“.

Der Adler packte ihn, nahm die Kapuze in den Schnabel, den Schwimmwestenkragen in die Krallen. Kräftig mit den Flügeln schlagend drehte er in Richtung Deutschland.
Er wusste nicht, dass der Adler ein Zauberadler war. Manchmal sah er die Schwingen des großen Adlers als Schatten unter sich, sie deckten ihn zu, beruhigten ihn weiter und weiter und weiter.

Dann wieder flogen sie dicht über den Wellen, er roch den Tang, das Salz kitzelte in seiner Nase als ihm Schaum und Gischt um die Ohren zischten. Das Meer war trüb und dunkelgrün. Dann wieder ging es hoch über die Wolken, und die Himmel waren dort endlos blau wie ein anderes durchsichtigeres tieferes Meer.

Der Wind brauste und brüllte, und er konnte den Adler entweder oft nicht verstehen oder es gab vielleicht gar nichts zu sagen. Nur sehen, hören, spüren, riechen. Und fliegen, vorläufig, jetzt. Und immer jetzt.

Als erst das Wattenmeer und dann die Küste unter ihm lag, ein Leuchtturm blinkte, als dann Berge auftauchten aus dem Frühnebel wie kleine Hundehäufchen, als dann die erste Stadt wie ein kleiner Christbaum mit elektrischen Glühkerzchen sich zeigte, stieß der Zauberadler nochmals einen mächtigen wilden freien Schrei aus, und dann ließ er ihn ganz plötzlich los.
Und er spürte wie er lose wurde und wie er zu flattern begann. Naja, er konnte immer noch steuern. Den linken Zeigefinger hoch, das war heraussteuern aus dem Wind. Die rechte Faust zudrücken, das war Gas geben.

Und dann, war das eine Überraschung! Der Adler hatte ihm Zauberflügel geschenkt, unsichtbare Zauberflügel aus Regenbogenhaut.

Er begann wie von selbst mit seinen Flügeln zu schlagen, noch einmal hoch und höher, hoch über die Wolken, Kirchtürme und Hochhäuser ganz klein wie Bonbons unter ihm, Hügel wie Erbsen und Flüsse wie Kratzer auf einer CD. Und er fühlte sich ganz frei, ließ sich nochmals vom Wind tragen, die Schwingen ausgebreitet, um dann langsam kreisend in tiefere Luftschichten zu stoßen.

Dann ließ er seine Flügel los, unsichtbar flogen sie weg, und er begann zu sinken. Und immer wenn er ein Mal tief und ruhig einatmete, bremste das die Landung. Immer wenn er einmal ganz tief und ganz ruhig atmete, ein, aus, ein, aus. So ist es gut.

Er sank, sank, schwebte nach unten, ganz warm in seinem Überlebensanzug, sicher, und dann bemerkte er wie er kleiner und kleiner wurde . Ganz langsam wich immer mehr Luft aus seinem dicken Kapuzenschwimmanzug, und er selbst schrumpfte und schrumpfte und schrumpfschrumpfte unaufhörlich, immerzu.

Als er dann fast nicht mehr da war, fast nur nichts mehr war übrig, sank er und sank er und sank sachte und winzig und ganz klitzeklein in einen Gartenteich, am Rand von Stuttgart, zwischen den Seerosenblättern, die er nur knapp verfehlte. Die Algen rochen etwas nach Moder, das Wasser war schlammig und braun, und das Plätschern des kleinen Springbrunnens klang ihm über den Ohren wie ein großer Wasserfall.

Da er sich ganz zauberwohl fühlte, konnte er nun auch unter Wasser atmen. Die Goldfische kreisten verwundert und langsam und riesengroß um ihn herum.
Die Kaulquappen waren größer als er, und sie kicherten, auch die, die schon keinen Schwanz mehr hatten. Die gaben richtig an, spielten Frosch und versuchten, sich aufzublasen.
In seinem Anzug war er etwas unbeholfen, und er setzte sich schließlich auf den Rücken einer Teichschnecke, die langsam und ganz bedächtig nach oben kroch, zum Beckenrand.

Und je weiter sie nach oben gelang, zählte er langsam, ganz langsam, eins, zwei, drei, vier, um so mehr wuchs er und gewann seine natürliche Größe zurück, fünf, sechs, sieben, um dann mit acht, neun einen Schritt ans Ufer zu machen, um dann mit zehn, jetzt, ganz wach und glücklich nach einer langen Reise wieder da zu sein, da, wo alles angefangen hatte..

Und jetzt wollte er erst Mal den Anzug loswerden, dann aufs Klo und dann was Essen, was richtiges Essen!
Cola, Ketchup, Fritten, und was für ein Eis willst du?




ANHANG:

Geschrieben auf der 252. Reise von FFS "Walther Herwig III"
Draussen im Rest der Welt geschah einiges andere:

AUS DEN NACHRICHTEN:

Trauer über den Tod von Jürgen W. Möllemann (5.6.2003)Politiker auf Bundes- und Landesebene zeigten sich am Donnerstag bestürzt über den Tod des FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann. Trotz politischer Differenzen habe sich Möllemann große politische Verdienste erworben, so FDP-Parteichef Guido Westerwelle. Der Landtag in NRW unterbrach seine Plenarsitzung. Unbestätigt sind noch vom Fernsehsender n-tv zitierte Augenzeugenberichte, wonach Möllemann bei seinem Fallschirmsprung in Marl den Hauptschirm ausgeklinkt und es unterlassen habe, den Ersatzschirm zu ziehen.

Unwetter: Nur kleinere Einsätze in Wuppertal (9.6.2003)Die heftigen Gewitterstürme, die am Pfingstsonntag über NRW gezogen sind, haben in Wuppertal keine größeren Schäden verursacht. Man habe lediglich zu fünf kleineren Einsätzen ausrücken müssen, teilte die Feuerwehr mit. Dazu hätten umgenickte Äste und Bäume gehört, hieß es. Bei den Unwettern starb ein sechs Jahre altes Mädchen, das im Rahmen des NATO-Sommerfestes in einem Fesselballon Platz genommen hatte. Der Sturm riss das Sicherungsseil aus der Verankerung. Der Ballon wurde erst 50 Kilometer weiter gefunden. Im westlichen Ruhrgebiet mussten zahlreiche überflutete Autobahnen gesperrt werden. In vielen Städten standen Keller unter Wasser. Auch der Bahnverkehr wurde beeinträchtigt. In Deutschland starben insgesamt vier Personen bei den Unwettern.

Quelle:
www.wuppertaler-rundschau.de

Verführung zur Lebensfreude

Was für Phantasien und Gefühle löst dieser Tag in mir aus?

Musik, Tanz, Bewegung und Freude in einem.

Spielen und neue Erfahrungen, neue Augen und neue Träume.

Aus der Vergangenheit hinausaustreten, durch das Tor des Paradieses ins Licht der Erkenntnis. Dann da stehen, den Koffer mit der Erinnerung in der Hand.
Exodus.

Kunst mag eine rituelle Handlung sein, die aus der Regression führen soll und doch die Sehnsucht weiter bestehen lässt.

Ich fliege, und ich gebe mich dem Rhythmus der Winde hin, dem Singen der Sterne.

Für einen Augenblick der Ewigkeit bin ich frei im Kosmos, um wieder von meinem Dämon gefangen in den Bannkreis eines neuen Zyklus gehen zu müssen.

Dort sitze ich dann, 90 kg schwer, 180 cm groß, ein schwerfälliger Hexenmeister, auf dem Korbstuhl meines lang verstorbenen Vaters. Ich kann hier sitzen, grinsen, und doch kann ich fliegen!

"Herr, gib uns nicht, was wir uns wünschen. Herr, gib uns, was wir brauchen."

Ich weiß genau, daß es eine gläserne Drehtür ist: zwischen Tod und Leben, zwischen Vergangenheit und Erinnerung, und mein Platz ist auf dieser Seite.
Hier und jetzt und zwischen den Welten.